„In diesen Zeiten braucht es Mut und Zusammenarbeit“
Ein Rückblick auf die sechste Berliner Landeskonferenz Migrantischer Organisationen (LKMO)
“Integration und Antidiskriminierung werden […] ausgelagert, dabei ist es Querschnittsthema das uns alle angeht und ein Pfeiler für die Demokratie.” MO-Vertretende*r
Am 07. Und 08. November 2024 hatte das Berliner Zentrum für Kooperation und Partizipation (KoPa) des Türkische Bundes Berlin-Brandenburg e.V. (TBB) unter dem Motto: “MEHR ALS VIELFALT: KOMPETENZEN, INHALTE, VISIONEN” Vertreter*innen von Organisationen, Verbänden und Parteien in die Räumlichkeiten des Berlin Global Village zur sechsten Landeskonferenz der Migrant*innenorganisationen eingeladen.
Die Konferenz fand zum ersten Mal zweitägig statt, wobei der erste Tag exklusiv für Vertreter*innen von Migrant*innenorganisationen (MOs) war und als Barcamp abgehalten wurde. Das partizipative Barcamp-Format zeichnet sich dadurch aus, dass alle Teilnehmenden die Möglichkeit haben ihre eigenen Themenvorschläge einzubringen und Inhalte vorzuschlagen und zu gestalten. In vier Räumen wurden jeweils vier Zeitfenster zu je 45 Minuten angeboten, um diese Inhalte in Sessions umzusetzen. Um nicht alles dem Zufall zu überlassen, hatte die aus verschiedenen migrantischen zivilgesellschaftlichen Organisationen bestehende Planungsrunde einige Sessions bereits vorbereitet. Weitere wurden durch die sehr aktiven Teilnehmenden gestaltet.
Fragen wie “In welcher Gesellschaft wollen wir leben?”, “Wie können wir mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in migrantischen Communities umgehen?”, “Welche Bedeutung hat human trafficking für die Arbeit von MO´s?” und “Sind Grundrechte eigentlich verhandelbar?”, wurden in reger Beteiligung diskutiert. Weitere Themen spannten den Bogen z.B. von erfolgreichem Lobbying über Förderstrukturen, Organisationsentwicklung, Ehrenamtsförderung und die Intersektion von Migration und Be_hinderung.
Das Erproben des Barcamp-Formates wurde von den Teilnehmenden sehr begrüßt und insbesondere die Möglichkeit zu einem offenen Austausch, der als ein „safe space“ wahrgenommen wurde, wurde hervorgehoben.
Viele Teilnehmende waren sich einig, dass sich der Diskurs um Migration mehr auf die positiven Seiten beziehen sollte, da Migration unbestreitbar längst Realität und Normalität sei, der hegemoniale Diskurs sie aber als zu bekämpfende Notlage verhandle. Stattdessen solle die Akzeptanz einer vielfältigen postmigrantischen Gesellschaft als Teil der Lösung gesellschaftlicher Probleme in den Fokus gerückt werden.
Gleichzeitig wurden auch Diskriminierungserfahrungen in der Mehrheitsgesellschaft und innerhalb migrantischen Communities ausgetauscht und nach Lösungsansätzen gesucht. Ein Beispiel dafür seien Erfahrungen von Anti-Schwarzem Rassismus und Diskriminierung von LGBTQI+, beispielsweise in Geflüchtetenunterkünften. Als Lösungsansatz wurde die Förderung von intersektionalem Arbeiten hervorgehoben, beispielsweise in der Sozialberatung und bei Themen wie Be_hinderung und Migrationsgeschichte.
Die sehr vertraute und herzliche Stimmung der Konferenz wurde auch in Anbetracht unterschiedlicher politischer Ereignisse seit der letzten Konferenz – und besonders der vorangegangenen Tage – von Sorgen seitens der MO-Vertreter*innen begleitet. Dabei wurde deutlich, dass sich viele dieser Sorgen, auf die fehlende Sichtbarkeit und wie auch schon im letzten Jahr, auf die Finanzierungssorgen von MOs beziehen.
Vertretende der Migrant*innenorganisationen kritisierten die ungleiche Verteilung von Geldern und Dienstleistungen, da etwa Wohlfahrtsverbände im Vergleich zu Migrant*innenorganisationen trotz ähnlicher bis gleicher Arbeit bevorzugt würden.
Die fehlende Sichtbarkeit und Anerkennung Ihrer Arbeit und Expertise seitens der Politik und entsprechender Behörden war ein zentraler Diskussionspunkt. Allzu leicht würden Fachexpertisen bei MOs vonseiten der entsprechenden Fachverwaltungen übersehen. Statt Zielgruppenzugänge und Erfahrungen anzuerkennen und dort zu finanzieren, wo sie Wirkung entfalten, würden MO-Projekte häufig in den Förderbereich „Integration“ verwiesen, wo sie miteinander um begrenzte Mittel konkurrieren müssten. An diesem unnötigen Wettbewerb zulasten einer fachspezifischen Zusammenarbeit wurde wiederholt Kritik geäußert.
Mit Grußworten von Maimouna Ouattara von moveGLOBAL und Staatssekretär Max Landero begann der Nachmittag des zweiten Konferenztages. Dieser öffnete das Forum für die breitere Fachöffentlichkeit und richtete sich auch dezidiert an die Berliner Politik und Verwaltung.
Die Anwesenden aus Politik und Verwaltung zeigten sich generell für die Anliegen der MOs offen, gaben aber einen bescheidenen Ausblick auf das nächste Jahr: In den aktuellen politischen Aushandlungen könne höchstens auf die Bewahrung des gegenwärtigen Status Quo und der existierenden Fördermöglichkeiten gehofft werden, bevor weitere Forderungen gestellt werden könnten. Für einige stellt sich aus diesen Gründen die Frage, wie es in Zukunft weitergehen wird und wie sehr MOs auf politische und gesellschaftliche Unterstützung vertrauen können.
In einer Fishbowl-Diskussion, äußerte Orkan Özdemir, Mitglied des Abgeordnetenhauses und Sprecher für Antidiskriminierung, Integration und den Kampf gegen Rechtsextremismus der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus Verständnis für die Sorgen der MOs. Es sei kein Geheimnis, dass konservative Kräfte eine andere Vorstellung von sozialer Organisation und Integration hätten. Gleichzeitig blickte die Beauftragte des Senats von Berlin für Partizipation, Integration und Migration Katarina Niewiedział auch entschlossen und optimistisch in die Zukunft: “Ich habe viel Neues gehört und vieles nehme ich davon mit. Das kriegen wir hin, egal wie die Zeiten auch sind”, versicherte sie.
Trotz der teilweise sehr schweren Themen, stand für viele Teilnehmende in diesem Jahr weiterhin die Vernetzung im Vordergrund und damit auch das gegenseitige Empowerment. Dies äußerte sich im Fokus auf die jeweiligen Kompetenzen und Visionen, aber auch an der widerholt betonten Überzeugung, dass Pessimismus keine Lösung sei. Vielmehr bedürfe es intensiver Zusammenarbeit und der Zuversicht, dass Veränderung möglich sei.
Mit Irritation nahmen die Teilnehmenden der MOs auch in diesem Jahr wahr, wer als Vertretung von Parteien und Senatsverwaltungen sich nicht am Austausch beteiligte. Trotz intensiver Bemühungen durch die Organisator*innen und Unterstützung durch das Team der Beauftragten sowie den Landesbeirat für Partizipation war ein Großteil der Senatsverwaltungen der Einladung nicht gefolgt. Auch die Berliner CDU als Teil der Regierungskoalition musste leider die einzige Zusage kurzfristig zurückziehen.
Dennoch schauen wir als MOs nun gespannt auf die Umsetzung der Impulse aufseiten des Landes und nehmen selbst wichtige Erfahrungen und Erkenntnisse mit in unsere weitere Arbeit. Auf die spannenden Diskussionen im Barcamp und die rege Teilnahme an der zweitägigen Konferenz blicken wir zufrieden zurück und sind arbeiten darauf hin, neue Ideen, Impulse und Kontakte Früchte tragen zu lassen. Wir hoffen, dass Vertreter*innen aus allen Ressorts der Berliner Verwaltung die Arbeit der MOs bei der nächsten LKMO mit einer breiter aufgestellten Teilnahme würdigen werden.
Abschließend möchten wir uns recht herzlich für die Unterstützung aller MOs bedanken, die sich an der Planung und dem Austausch beteiligt und die Tage mit ihrem Wissen und ihrer Expertise gefüllt haben. Ein weiterer Dank geht an die Vertreter*innen aus Verwaltung und Politik, die sich den teils auch kontroversen und unbequemen Gesprächen gestellt haben.
Unser besonderer Dank gilt der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung, die die Veranstaltung im Rahmen des Partizipations- und Integrationsprogramms gefördert hat, und die LKMO schon im Vorfeld wie auch durch aktive Beteiligung unterstützte. Letztlich bedanken wir uns bei all unseren Helfer*innen und Mitarbeiter*innen, die zu einem erfolgreichen Ablauf der sechsten LKMO beigetragen haben.
In diesem Sinne möchten wir mit einem Zitat abschließen, das für ein Barcamp ebenso gilt wie für Berlin als Ganzes: “Wir müssen den Raum so einrichten, dass ALLE mitmachen können.“
Videoaufrufe aus der LKMO-Planungsrunde
Die komplette Playlist findet sich hier.
Gefördert aus Mitteln der Senatsverwaltung für Soziales, Arbeit, Gleischstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung im Rahmen des Partizipations- und Integrationsprogramms