KliK-Workshop 9: „Das Klima und wir”

von Dr. Maria Martin

(Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung e.V.)

8.9.2023

Modul 1 ­– Grundlagen

Nach der Sommerpause treffen wir uns heute mit Dr. Maria Martin vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) im Wissenschaftspark Albert Einstein, wo auch andere Institute wie u.a. ein Standort des Deutschen Wetterdienstes beheimatet sind. Nachdem sie uns für rund eine Stunde durch das Gelände geführt und dessen bis ins 19. Jahrhundert zurückreichende Geschichte geschildert hat, kehren wir in einen ursprünglich astrophysikalischen Zwecken dienenden Kuppelraum ein, wo wir mehr über Klimafolgenforschung erfahren werden. Ihren Vortrag eröffnet Frau Martin mit ein paar schönen biographischen Anekdoten. Themen, die sie aktuell beschäftigen, sind planetare Grenzen, fossile Brennstoffe und klimatische Kipppunkte, an denen sich das globale Zusammenspiel unterschiedlicher Ökosysteme rapide verändern und sehr viel krisenhafter werden würde als bisher.

Die Geschichte das PIK reicht bis zum Anfang der 1990er Jahre zurück. Gründungsdirektor Hans Joachim Schellnhuber habe damals ein kleines Team versammelt, um die vielen Facetten des Klimawandels zu erforschen. 2015 habe das PIK schließlich rund 200 Mitarbeiter*innen gehabt. Es gibt hier vier Forschungsabteilungen: (1.) Die Erdsystemanalyse, die sich mit harten naturwissenschaftlichen Fakten beschäftigt, (2.) die Klimaresilienzforschung, die sich damit befasst, wie sich klimatische Veränderungen auf die Lebensbedingungen von Menschen auswirken, (3.) Transformationspfade, wo es um die Frage geht, wie sich ökonomischer Wohlstand erhalten lässt, wenn sich dessen ökologische Voraussetzungen verschieben und (4.) die Komplexitätsforschung, die das Zusammenspiel von sozialen, ökonomischen und ökologischen Systemen in den Fokus nimmt. Hier gehe es u.a. auch um künstliche Intelligenz.

Aktuell gibt es zwei Hauptthemen am PIK: Globale Gemeinschaftsgüter und planetare Grenzen. Bspw. die Atmosphäre teilen sich alle Menschen. Wenn bestimmte Ressourcen wie saubere Luft nicht mehr zur Verfügung stehen, hat das Auswirkungen für alle. Nachdem uns Frau Martin wichtige wissenschaftliche Grundlagen vermittelt und darauf hingewiesen hat, dass sich das Klima zwar schon immer verändert hat, aber nicht so wie aktuell, spricht sie ausführlicher über das Problem der Verbrennung fossiler Brennstoffe seit der Industrialisierung im frühen 19. Jahrhundert und den Treibhauseffekt. Dieser sei zwar nicht neu und sogar notwendig für unser Überleben auf dem Planeten Erde, weil es sonst zu kalt für viele Lebensformen wäre. Zu Beginn der Industrialisierung hätte es jedoch in der Atmosphäre im Verhältnis zu einer Millionen anderen Teilchen (parts per million, kurz: ppm) 280 CO2-Moleküle gegeben. Aktuell wären es schon über 400 eine rapide ansteigende Zahl, die naturwissenschaftlich betrachtet einen enormen und auch gefährlichen Unterschied macht.   

Das Klima ist die Kleidung, die sich im Koffer befindet, das Wetter wiederum die Kleidung, die jeweils daraus entnommen wird, meint Frau Martin später. Das Klima beinhaltet mögliche Wetterlagen und Potentiale, die sich in ihm manifestieren und entfalten können. Bereits in den 1980er Jahren wurde von verschiedenen Seiten auf eine globale Verschiebung des Klimas hingewiesen, das nun eigentlich einen anderen Koffer erfordert, denkt Stefan, während er Frau Martins Ausführungen folgt. Gegenwärtig müssen wir uns in den meisten Regionen der Welt auf eine Häufung und Intensivierung extremer Wetterereignisse einstellen. Jetzt zeigt uns Frau Martin zentrale Marker des Klimawandels: Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre, die aktuell so hoch ist wie seit zwei Millionen Jahren nicht mehr, steigende Meeresspiegel, wegschmelzende Eismassen überall auf der Welt usw. Am PIK wird viel Forschung zu Kippelementen durchgeführt. Kipppunkte sind Schwellen im Klimasystem, die gravierende Umbrüche mit sich bringen und im schlimmsten Fall zum Kollaps ökologischer oder geophysikalischer Systeme führen. Frau Martin verweist auf das Übereinkommen von Paris (ÜvP) von 2015, in dessen Rahmen sich Politiker*innen aus aller Welt darauf geeinigt hatten, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um unter zwei Grad Erderwärmung gegenüber vorindustriellen Zeiten zu bleiben. Das ist eine Zielvorgabe, die leider gerade nicht wirklich umgesetzt wird. Neben Versäumnissen der Politik spielt hier leider auch unser individuelles Verhalten eine destruktive Rolle.

Am PIK wird ebenfalls interdisziplinäre Forschung bzgl. der Frage betrieben, wie innerhalb der planetaren Grenzen ein gutes Leben für alle gelingen kann. Voraussetzung hierfür ist, dass wir unsere Ernährung, unseren Konsum und unsere Mobilität grundlegend auf mehr Nachhaltigkeit umstellen. Ein weiterer Ansatz nennt sich Divestment. Hierbei handelt es sich um den Rückzug von Geldflüssen bspw. aus Sektoren, die in fossile Brennstoffe investieren. Am Ende ihres Vortrags erwähnt Frau Martin noch die Bewegung Scientists for Future, die sich der Verantwortung von Wissenschaftler*innen für klimapolitische Prozesse bewusst ist und sich entsprechend engagiert.

Nach unserem Applaus für Frau Martins ausführlichen Input steigen wir in die Diskussion ein. Thanh will wissen, auf welcher Basis zwei Grad Erderwärmung als Kipppunkt definiert werden, woraufhin Frau Martin auf komplexe Berechnungen verweist, die von Computern angestellt werden. Ein solcher Großrechner befindet sich im Keller eines der PIK-Gebäude und produziert im Winter auch Heizenergie. Vinh verweist in seinem Redebeitrag auf Simulationsmodelle, die zeigen, wie klimatische Verhältnisse an bestimmten Schwellen kippen. Steph will wissen, ob es nicht fairer wäre, Kipppunkte lokal statt global zu definieren, worauf Frau Martin mit dem Hinweis reagiert, dass es bei den globalen Kipppunkten darum geht, dass eine Ursache an einem Ort eben zum Kippen an einem anderen Ort und Auswirkungen wieder noch woanders führen kann. Stefan ist erstaunt über die Wechselwirkung sehr vieler Ökosysteme, die sich im Verlauf des aktuellen Klimawandels immer weiter verschiebt. Vinh macht sich Sorgen über die unter Leugner*innen der Klimakrise weit verbreitete Meinung, unser Klima hätte schon immer Schwankungen unterlegen, was Frau Martin nicht bestreitet. Gleichzeitig verweist sie auf die Tatsache des seit Längerem stattfindenden, beisspiellos schnellen Anstiegs der Kurve, die Durchschnittstemperaturen abbildet.

Später berichtet Thanh von der Idee, Meerwasser zu entsalzen, um daraus Trinkwasser zu gewinnen. Frau Martin erwidert, das sei zwar prinzipiell eine Option. In Regionen, die weiter weg vom Meer liegen, wäre dann aber der Transport sehr aufwendig und ökologisch wenig sinnvoll. Sophie will wissen, woran Frau Martin gerade forscht. Sie antwortet, sie beschäftige sich mit der erdgeschichtlichen Epoche des Holozäns, in dem sich viele Hochkulturen entwickelten und das zwölftausend Jahre dauerte. Demnächst würde ein neues Forschungspapier des PIK veröffentlicht, das aufzeigt, dass aktuell sechs von neun planetaren Grenzen bereits überschritten sind. Stefan fragt Frau Martin nach ihrer Einschätzung zum Beginn des Anthropozäns als Zeitalter des Menschen, das Geolog*innen zufolge auf das Holozän folgte. Sie meint, einen zeitlichen Anfang zu setzen sei ihr nicht so wichtig wie die Feststellung, dass wir uns gerade mitten in diesem Erdzeitalter befinden. Thanh berichtet kritisch von Festen in Vietnam, in denen das Anzünden von Puppen eine wichtige Rolle spielen. Hierauf meint Frau Martin, die Verbrennung von Material, das noch vor kurzem CO2 aus der Luft bezogen hat, sei weniger fatal als die Nutzung fossiler Brennstoffe, die über sehr viel längere Zeiträume unterirdisch sedimentiert wurden. Überhaupt findet sie es problematisch, andere Länder aus europäischer Perspektive über deren Umweltbewusstsein zu belehren. Gegen Ende unseres Austauschs mit Frau Martin erwähnt Vinh den Science Fiction-Traum, mit riesigen Schirmen im Weltraum Sonnenlicht abzufangen, um daraus Energie zu gewinnen. Frau Martin hält das für keine allzu gute Idee, weil diese Technologie zunächst sehr viel Energie verbrauchen und auch CO2 freisetzen würde. Außerdem würden noch Jahrzehnte vergehen, bis solche Projekte realisiert werden könnten. Bis dahin wären schon manche klimatische Kipppunkte überschritten und die Erderwärmung bei vier bis fünf Grad. Marinette findet es nicht gut, dass eine privilegierte Minderheit wichtige Entscheidungen trifft, um das Klima zu retten und dabei nur auf technologische Lösungen setzt.

Frau Martin stimmt ihr zu und unterstreicht, dass es nicht nur eine einzige Lösung für die Klimakrise gibt. Was aber definitiv  unabdingbar ist,  sei möglichst bald damit aufzuhören, fossilen Brennstoff aus der Erde ans Tageslicht zu holen und ihn energetisch zu nutzen. Zum Schluss bekommt die Workshopleiterin des heutigen Nachmittags noch einen letzten längeren Applaus. Nicht nur ihre Führung durch das Gelände des Albert Einstein Wissenschaftsparks in Potsdam und ihr zugleich lehrreicher und unterhaltsamer Vortrag zur Klimafolgenforschung, sondern auch die anschließende Diskussionsrunde haben uns alle sehr bereichert.

Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (pik-potsdam.de)