#WirSindDa für eine bunte und solidarische Gesellschaft, am 03.10.2020

Das Bündnis für ein weltoffenes und tolerantes Berlin hat alle Berlinerinnen und Berliner aufgerufen, am Samstag, den 3. Oktober 2020, gemeinsam auf die Straße zu gehen und sich für ein menschliches, weltoffenes und solidarisches Berlin einzusetzen. Anlass war die Ankündigung der aggressiven Kleinstpartei „III. Weg“ aus dem Neonazispektrum, am Nachmittag in Berlin-Hohenschönhausen unter rassistischen und völkischen Slogans zu demonstrieren. Die Partei, die sich ideologisch an der NSDAP orientiert, propagiert klar Rassismus gegen vermeintlich Nicht-Deutsche und Hass auf liberale oder weltoffene Menschen, die sich für eine vielfältige Gesellschaft einsetzen. Der Türkische Bund in Berlin-Brandenburg (TBB) ist Mitglied beim Bündnis für ein weltoffenes und tolerantes Berlin und hat die Aktion gerne unterstützt. Redebeitrag der TBB-Sprecherin Ayşe Demir bei der Aktion:

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Berlinerinnen und Berliner,

zunächst möchte ich allen für das zahlreiche Erscheinen danken. Es ist sehr wichtig, dass wir immer wieder gemeinsam ein Zeichen setzen – ein Zeichen für ein weltoffene und vielfältige Gesellschaft! Ein Zeichen, dass wir rassistisches und faschistisches Gedankengut hier nicht dulden werden!

Angesichts des derzeitigen rassistischen Klimas ist es notwendig, jetzt und überall mit vielen Menschen ein deutliches Signal gegen rechtsradikale, rassistische, faschistische, antimuslimische und antisemitische Hetze zu setzen und für eine vielfältige und solidarische Gesellschaft einzutreten!

Liebe Freundinnen und Freunde,

seit Jahren weisen wir darauf hin, dass rechtspopulistische und rassistische Aussagen den Nährboden für rassistische Gewalt bereiten und sie deshalb unmissverständlich geächtet und gestoppt werden müssen. Leider ist nichts passiert, sie wurden weiterhin hingenommen. Und parallel dazu gab und gibt es tagtäglich Angriffe auf Muslime, Juden, Geflüchtete, die mittlerweile zum akzeptierten Alltag geworden ist. Die Grenze des gesellschaftlich Akzeptablen ist immer mehr nach rechts gerückt – unter anderem auch, weil sich Politiker*innen der demokratischen Parteien von der AfD haben treiben lassen, indem sie sich deren Aussagen, mit der Hoffnung die Stimmen ihrer Wähler*innen zu bekommen, bedient haben.

Wenn tagtäglich Menschen aus rassistischen Gründen angegriffen werden können, wenn rassistische Aussagen von Politiker*innen nicht sanktioniert werden, wenn ungehemmt und offen rassistisches Gedankengut zur Schau gestellt werden kann, dann wundert es uns nicht, dass 75 Jahre nach der Zeit des Nationalsozialismus Rechtsextremisten und sogenannte Reichsbürger die Treppen des Bundestages stürmen. Und deshalb wundern wir uns, dass andere erstaunt darüber sind, dass sowas geschehen kann.

Wir wissen und alle wissen doch schon lange, dass rassistisches und nationalsozialistisches Gedankengut nicht der Vergangenheit angehören.

Wir wissen schon lange, dass Rassismus nicht mehr in Worten tätig ist, sondern kaltblütig Menschen ermordet. Schon lange werden Menschen aus rassistischen Motiven angegriffen, beleidigt und getötet.

Dennoch haben wir trotz NSU, Hanau, Halle nicht oder nur kaum dazugelernt.

Denn immer noch wird bei der Auseinandersetzung von rassistischen Angriffen auf die Bekämpfung von Gewalttaten und Naziterror durch repressive Maßnahmen oder eine stärkere Beobachtung der Neonazi-Szene reduziert. Wichtig ist jedoch, dass bei der nachhaltigen Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus, man bei seinen Aktivitäten und Maßnahmen nicht an den sichtbaren Ereignissen stehen bleiben darf. In den Blick gerückt werden müssen rassistische und rechtsextreme Ideologien.

Aus diesem Grund bedarf es dringend einer Aufarbeitung der rassistischen und menschenverachtenden Einstellungen sowohl in der Gesellschaft als auch in den Behörden – und dabei insbesondere bei den Ermittlungsbehörden und dort gerade bei der Polizei.  Wir müssen uns endlich mit strukturellem und institutionellem Rassismus auseinandersetzen. Und diejenigen, die die politische Verantwortung für die Ermittlungsbehörden und für die Polizei tragen, müssen den strukturellen Rassismus erkennen, anerkennen und ernsthaft dagegen vorgehen.

Dass NSU- Morde rassistisch motiviert waren und die Ermittlungsbehörden darauf beharrten, nicht in diese Richtung zu ermitteln und nur einseitig in vermeintliche Ausländerkriminalität ermittelt haben, ist aus unserer Sicht ein eindeutiger Beweis für institutionellen Rassismus. Und spätestens seit dem Bekanntwerden der der NSU-Verbrechen wissen wir von Verbindungen zwischen den Rechtsterroristen und Ermittlungsbehörden. Der institutionelle Rassismus der Polizeibehörden muss auch und gerade im NSU Kontext endlich als solcher dargestellt und darüber hinaus als Mitursache für die Nichtaufklärung der Taten bezeichnet werden.

Und auch in der letzten Zeit sickert immer wieder durch, dass es bei der Polizei rassistische Strukturen gibt. Ständig lesen wir beispielsweise von Chat-Gruppen bei der Polizei, in denen rechte Hetze verbreitet werden.

Es bedurfte eines Anschlags in Halle und mehrerer Morde in Hanau, damit der Bundesinnenminister endlich die Dinge beim Wort nannte und endlich vom Rassismus sprach. Wir müssen jedoch nicht weit gehen, es passierten schon bei uns in Neukölln jahrelang merkwürdige Dinge: Selbst die Polizei rechnet innerhalb von 6 Jahren 72 Straftaten der rechtsextremen Szene zu, Anschläge auf eine linke Buchhandlung, Brandanschläge auf Autos, auf bekannte Antifaschisten. Eine eindeutige rechtsextreme Terrorserie. Der Mord an Burak Bektaş ist immer noch nicht aufgeklärt. Schlimmer noch: Es besteht dringender Verdacht, dass jahrelang selbst die Ermittler zu rechtsextremen Kreisen zuzurechnen waren, sie haben gegen sich ermittelt. Und der Höhepunkt: Die Ermittler haben gegen die Opfergruppe „Basta“ in der Hufeisensiedlung Anzeige erstattet, weil sie angeblich einmal vergessen haben soll, ihre wöchentliche Demo anzumelden. Selbst der Innensenator hat Skepsis gegenüber seinen Leuten vor Ort und setzt nun eine Sonderkommission ein, um einigermaßen Klarheit um die Vorgänge in Neukölln zu bekommen.

Liebe Freundinnen und Freunde,

ist dann nicht die Zeit gekommen, um über den Rassismus und Rechtsextremismus bei der Polizei ernsthaft zu sprechen und ja diese Strukturen offenzulegen, um dann diese zu beseitigen?

Schon längst hätten wir uns mit strukturellem und institutionellem Rassismus auseinandersetzen müssen, haben aber einen Innenminister, der sich weiterhin weigert, eine Studie zur Untersuchung rassistischer Strukturen bei der Polizei zu beauftragen, da er kein Rassismusproblem bei der Polizei sieht. Warum verfällt denn der Bundesinnenminister in Panik? Warum lehnt er solch eine Studie ab? Gibt es denn einiges zu verbergen? Warum verweigert er die Studie, selbst dann, wenn einzelne Polizeiverbände dies für sinnvoll halten? 

Tatsache ist, dass mit dem Bekanntwerden der NSU-Morde und damit der Aufdeckung von sogenannten Pannen, Verschleierungen, Geheimhaltungsfristen von wichtigen Berichten, das Vertrauen insbesondere der migrantischen Communities in die Behörden tief erschüttert ist und  bei dem gegenwärtigen rassistischen Klima und der Zunahme der rassistischen Angriffe überhaupt kein Vertrauen in den Umgang der zuständigen Behörden mit dieser Bedrohung besteht.

Nur durch uneingeschränkte öffentliche Aufarbeitung aller rassistischen Angriffe und Morde und einer breiteren und konsequenten Sensibilisierung zu strukturellem Rassismus von Seiten der Politik kann das Vertrauen zu den staatlichen Institutionen wiederhergestellt werden.

Und wir als zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure müssen alle Kräfte mobilisieren und gemeinsam und konsequent gegen Hass und Hetze und den Abbau von Menschenrechten in unserer Gesellschaft wirken.

So, wie wir heute zeigen, dass wir Nazis die Straßen unserer Stadt nicht überlassen, müssen wir zu jeder Zeit und an jedem Ort mit vielen Menschen unablässig gegen Nazis und deren parlamentarischen Arm aktiv sein und uns unmissverständlich für eine vielfältige und solidarische Gesellschaft eintreten. Die Antwort auf den immer stärker werdenden Rechtsruck kann nur mehr Vielfalt und Teilhabe sein.

Wir – Berlinerinnen und Berliner – nehmen faschistische Propaganda in unserer kulturell vielfältigen Stadt nicht hin.

Unsere Antwort darauf lautet: Wir sind da! Und wir sind viele!

Denn Berlin sind wir! Mit allen unseren unterschiedlichsten kulturellen und religiösen Identitäten!

Vielen Dank!

Ayşe Demir
Vorstandssprecherin des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg (TBB)